Sonntag, 24. August 2014

Faktisches Erleben und dessen Möglichkeitsbedingung

Ich möchte dem zuletzt erwähnten Gedanken noch etwas nachgehen. Ich spreche von einem Paralleleismus: Mit dem aktuellen, faktischen Gefühl geht die BEdingung der Möglichkeit des Gefühls parallel, wie dem geäußerten Wort das gedachte Wort parallel geht, genauer: vorläuft, begleitet und präsent bleibt, wenn es gesprochen ist. Ich hatte dies so gefasst:
Auch das innere Entstehen eines Wortes im Menschen hat, ebenso wie in der Trinität, diesen Charakter der innenbleibenden Hervorbringung; denn die ratio ist zugleich „Wort“, was auch im griechischen Begriff „Logos“ ausgedrückt sei.
Nun wird dies auf das Geschehen der "Gottesgeburt" übertragen:
Darum meint die Metapher von der „Geburt des Wortes“ nicht nur die transzendentale Geburt des Wortes Gottes, sondern auch das äußere „Worten“ (geworten ) des inneren Wortes. Im Sprechen sind Außen und Innen eins. Denn das gesprochene Wort „äußert“ sich nicht nur aus dem Inneren heraus, sondern bleibt als die transzendentale Bedingung des Sprechens im Inneren erhalten.
Für den transzendentalen Paralellismus führe ich folgendes Beistpiel aus der Neuropsychologie an. Das ist natürlich ein gewagter Übergang in einen anderen Wirklichkeitsbereich.
Dieser ‚transzendentale Parallelismus‘ ist dem modernen, kausal und faktisch orientierten Denken vielleicht schwer verständlich, besagt er doch, dass eine vorausliegende Bedingung der Möglichkeit genauso wirklich sein soll wie das faktische Ereignis. Ein ontisch-physisches Beispiel könnte die Differenz sein zwischen der faktischen Sprach- und Sprechfertigkeit eines Menschen und dem (im Gehirn vorgeprägten) Sprach- und Sprechvermögen, welches die unabdingbare Ermöglichung, aber keine faktische Determination ist. Ob wir Deutsch, Arabisch oder Chinesisch sprechen, dazu ist das Sprachvermögen die notwendige Voraussetzung; aber nicht die hinreichende Bedingung. Es bestimmt sich vielmehr durch das faktische Lernen. Aber immer, wenn wir in unserer faktischen Sprache festgelegt sind, bleibt die (‚transzendentale‘, hier: neuropsychologische) Bedingung der Möglichkeit bestehen, und ohne diese wären wir sprachlos.

Mittwoch, 20. August 2014



Auch das innere Entstehen eines Wortes im Menschen hat, ebenso wie in der Trinität, diesen Charakter der innenbleibenden Hervorbringung; denn die ratio ist zugleich „Wort“, was auch im griechischen Begriff „Logos“ ausgedrückt sei. Darum meint die Metapher von der »Geburt des Wortes« nicht nur die transzendentale Geburt des Wortes Gottes, sondern auch das äußere »Worten« (geworten) des inneren Wortes. Im Sprechen sind Außen und Innen eins. Denn das gesprochene Wort „äußert“ sich nicht nur aus dem Inneren heraus, sondern bleibt als die transzendentale Bedingung des Sprechens im Inneren erhalten. So legt Eckhart seinen Satz aus:

Daz ist gote werder, daz er geistlîche geborn werde von einer ieglîchen juncvrouwen oder von einer ieglîchen guoten sêle, dan daz er von Marîâ lîplîche geborn wart. – „Es ist Gott lieber, dass er von einer jeden Jungfrau oder von einer jeden guten Seele geboren wird, als dass er von Maria leiblich geboren wurde“ (Pr. 22; DW I, 376,3–5).

Der Grund ist, dass in der äußeren Schöpfung des Menschen, dieser als Sohn oder Wort Gottes zugleich in Gott selbst ewig gezeugt wurde: Har inne ist ze verstânne, daz wir sîn ein einiger sun, den der vater êwiclîche geborn hât (Pr. 22; DW III, 376,6 f.). Gleichsam ‚parallel‘ zur zeitlichen „Geburt in die Welt“ geschieht ‚meine‘ transzendentale „Geburt in Gott“ als das Wort oder der Sohn Gottes. Dies ist aber kein strikt jenseitiges, „transzendentes“ Geschehen, sondern es vollzieht sich laut Eckhart in der Seele.

Montag, 11. August 2014

Weiter geht es mit den Fragen zur philosophisch-theologischen Verankerung der Gottesgeburt. Das Reich des Naturwissenschaftlers (physicus) ist die Kausalität, für Eckhart die Wirk- und die Zielursache; aber in den Beziehungen, die zum ens in anima, nach meinem Verständnis also zum Bewusstsein gehören, gibt es für Eckhart keine Wirk- und keine Zielursache. Sie sind sunder warumbe, ohne Warum und Wozu.
"Ferner ist aber der Seinssinn der Dinge selbst in der Weise Prinzip, dass er eine Ursache außen weder hat noch berücksichtigt, sondern für ihn kommt nur das Wesen der Dinge innen in Betracht. Darum zeigt der Metaphysiker, wenn er die Seiendheit der Dinge erforscht, nichts anhand äußerer, d. h. Wirk- und Zweckursachen auf" (In Gen I, n. 4; LW I,63,5–7).
Adhuc autem ipsa rerum ratio sic est principium, ut causam extra non habeat nec respiciat, sed solam rerum essentiam intra respicit. Propter quod metaphysicus rerum entitatem considerans nihil demonstrat per causas extra, puta efficientem et finalem.
Eckhart spricht vom Metaphysiker. Die Frage ist aber für uns, hat seine metaphysische Spekulation einen phänomenalen Anhalt? Wir modernen können uns kaum noch Geschehnisse vorstellen, die keine Ursache haben. Natürlich gilt es auch aus naturwissenschaftlicher Sicht, dass auch Bewusstseinsphänomen kausal erfasst werden können. Sie sind Vorgänge im Gehirn. Aber im Erleben? Gibt es Erlebnisse und Erfahrungen, die ohne Grund in uns auftauchen, mit Eckhart Wort: geboren werden? Ich denke an Träume, Einfälle, künstlerische Ideen und Produktioen. Beispiele?

Dienstag, 5. August 2014

ens reale – ens in anima/cognitivum: „Natur“ und „Bewusstsein“?

Um die Form der Beziehungen in Gott und zwischen Gott und dem Menschen zu bestimmen, bedient sich Eckhart der Unterscheidung der Seinsbereiche und der jeweils zutreffenden Kausalitätsformen. Sciendum ergo quod ens secundum totum sui ambitum prima sui divisione dividitur in ens reale extra animam, divisum in decem praedicamenta, et in ens in anima sive in ens cognitivum. »Man muss also wissen, dass das Seiende seinem ganzen Umfang nach in einer ersten Einteilung unterteilt wird in das reale Seiende außerhalb der Seele, das in die zehn Kategorien eingeteilt wird, und in das Seiende in der Seele oder das geistige Seiende« (In Ioh. n. 514; 445,4–6.). Die Einteilung könnte man, mit dem notwendigen historisch informierten Vorbehalt, wiedergeben als Natur einerseits, d. i. alles, was mit naturwissenschaftlich exakter Methode erklärt werden kann, und andererseits Bewusstsein. Die erforscht der „Naturwissenschaftler“. In dem anderen Bereich, den Eckhart das „In-der Seele-Seiende“ oder das „gedachte Seiende“ nennt, forscht nach Eckhart der „Metaphysiker“. Für beide Bereiche ist eine je verschiedene Zugangsweise maßgebend, da sie ontologisch unterschiedlich konstituiert sind: Für die Natur gelten die Wirk- und die Zielursachen. Aliter autem loquendum est omnino de rerum rationibus et cognitione ipsarum, aliter de rebus extra in natura, sicut etiam aliter loquendum est de substantia et aliter de accidente. Quod non considerantes frequenter incidunt in errorem. "Ganz anders muss man aber reden vom Seinssinn der Dinge (ratio rerum) und deren Bewusst-Sein (cognitio) und anders von den Dingen außen in der Natur, wie man auch anders reden muss von der Substanz und anders vom Akzidens. Die das nicht beachten, fallen häufig in Irrtum“ (In Ioh. n. 514; 445,3–14). Diese leicht modernisierende Übersetzung soll darauf vorbereiten, Eckharts metaphysische Bestimmungen phänomenologische zu verstehen. Einverstanden? Karl Heinz Witte
Vor fünf Jahren habe ich diesen Blog gestartet. Die Aktivität ist aber bald erlahmt, da ich durch die Abfassung meines Buches "Meister Eckhart: Leben aus dem Grunde des Lebens. Eine Einführung" absorbiert war. Jetzt musste ich meine Website neu erstellen. Das ist eine Gelegenheit, einen neuen Anfang mit Diskussionsbeiträgen zu machen. Die Grundproblematik ist dieselbe geblieben: Wie kann man Eckharts Gedanken in unsere Zeit übertragen. Speziell: Gibt ein phänomenlogisch-psychologisches Verständnis seines Themas: Geburt des Wortes in der Seele. Meine Überlegungen werde ich in unregelmäßiger Reihenfolge posten. Über Kommentare würde ich mich freuen. Einen schönen Sommer! Karl heinz Witte