Dies ist zweifellos eines der Hauptkonzepte Meister Eckharts. Ich versuche gerade, darüber nachzudenken und zu schreiben. Ich kann natürlich zusammenstellen, was Eckhart über die Gottesgeburt sagt; aber was dieses Konzept bedeutet – in unserer heutigen Erfahrung und Sprache – das ist schwer zu sagen. Für mich entscheidet sich hier die Qualität der Eckhart-Rezeption. Lasse ich es bei der historischen Betrachtung, oder bin ich der Meinung, dass Eckhart ein Phänomen beschrieben hat, das uns zwar verdeckt ist, auch wegen der nicht mehr nachvollziehbaren Vorstellungen von Gott und der Seele, aber gleichwohl aufgedeckt und übersetzt werden kann.
Keine Frage für mich, dass die überlieferten metaphyischen Vorstellungen nicht mehr tragen. Wem sie noch etwas bedeuten, dem wünsche ich Glück damit und freue mich für ihn. Aber ich glaube, dass die Idee oder Erfahrung von der Gottesgeburt nur verständlich wird, wenn wir Eckharts radikale Umdeutung des Begriffs von Gott zu Ende denken und mitvollziehen. Dieser neue Begriff deutet sich in dem Satz der Predigt 6 an: "Was ist Leben? Gottes Sein ist mein Leben. Ist mein Leben Gottes Sein, so mus Gottes Sein meines sein und Gottes Wesenheit meine Wesenheit, nicht weniger und nicht mehr."
Waz ist leben? Gotes wesen ist mîn leben. Ist mîn leben gotes wesen, sô muoz daz gotes sîn mîn sîn und gotes isticheit mîn isticheit, noch minner noch mêr. (Pr. 6, DW I, S. 106,1-3)
Was heißt das für die Gottesgeburt in der Seele?