Mittwoch, 15. Juli 2009

Gottesgeburt in der Seele

Dies ist zweifellos eines der Hauptkonzepte Meister Eckharts. Ich versuche gerade, darüber nachzudenken und zu schreiben. Ich kann natürlich zusammenstellen, was Eckhart über die Gottesgeburt sagt; aber was dieses Konzept bedeutet – in unserer heutigen Erfahrung und Sprache – das ist schwer zu sagen. Für mich entscheidet sich hier die Qualität der Eckhart-Rezeption. Lasse ich es bei der historischen Betrachtung, oder bin ich der Meinung, dass Eckhart ein Phänomen beschrieben hat, das uns zwar verdeckt ist, auch wegen der nicht mehr nachvollziehbaren Vorstellungen von Gott und der Seele, aber gleichwohl aufgedeckt und übersetzt werden kann.

Keine Frage für mich, dass die überlieferten metaphyischen Vorstellungen nicht mehr tragen. Wem sie noch etwas bedeuten, dem wünsche ich Glück damit und freue mich für ihn. Aber ich glaube, dass die Idee oder Erfahrung von der Gottesgeburt nur verständlich wird, wenn wir Eckharts radikale Umdeutung des Begriffs von Gott zu Ende denken und mitvollziehen. Dieser neue Begriff deutet sich in dem Satz der Predigt 6 an: "Was ist Leben? Gottes Sein ist mein Leben. Ist mein Leben Gottes Sein, so mus Gottes Sein meines sein und Gottes Wesenheit meine Wesenheit, nicht weniger und nicht mehr."
Waz ist leben? Gotes wesen ist mîn leben. Ist mîn leben gotes wesen, sô muoz daz gotes sîn mîn sîn und gotes isticheit mîn isticheit, noch minner noch mêr. (Pr. 6, DW I, S. 106,1-3)

Was heißt das für die Gottesgeburt in der Seele?

Samstag, 4. Juli 2009

Eckhart in asiatischer Sicht

Hee-Sung Keel, Meister Eckhart an Asian perspective (Lit. siehe unten, Beitrag 4)
Bedeutsam und für die Forschung anregend ist Keels Auseinandersetzung mit zwei mystischen Konzepten Eckharts, die Shizuteru Ueda (1965) aufgedeckt und seiner Eckhart-Interpretation zugrunde gelegt hat, das Konzept der Gottesgeburt im Seelengrund und das Konzept des Durchbruchsin die Einheit. Keel bemerkt mit Recht, dass diese Unterscheidung in der deutschsprachigen Eckhart-Forschung wenig diskutiert wird, in deutlichem Unterschied zur englischsprachigen. Er bespricht die Interpretationen von Caputo, McGinn und Hollywood und trägt in Differenz dazu seine eigene Ansicht vor, nämlich dass beide Konzepte bei Eckhart gleichgewichtig nebeneinanderstehen, dass das Konzept der Gottesgeburt eher dem neuplatonischen Hervorgang (exitus) der Schöpfung aus dem Einen nahestehe, während der Durchbruch eher zur Rückkehr (reditus) der Seele ins Eine gehöre. Das erste repräsentiere eine Mystik der Vereinigung (mysticism of union), das zweite eine Mystik der Einheit (mysticism of unity). Er lässt dann keinen Zweifel daran, dass für sein eigenes Eckhart-Verständnis das Konzept des Durchbruchs der Zentralaspekt ist, insofern dies die Gott-Mensch-Einheit (divine-human unity) entfalte, dem auch die asiatischen spirituellen Traditionen verpflichtet seien.
Nach meiner Meinung entspringen die Zuordnungsversuche dem Bestreben, Eckharts Lehre in eine systemaische Einheit zu bringen. Eckhart selbst gibt (bei diesem Thema) keinen Hinweis auf eine systematische Zuordnung der beiden Konzepte. Allerdings glaube ich, einen literarischen Entwicklungsschritt von der Gottesgeburtslehre zur Lehre vom Durchbruch zur Gottheit, der Gott und die göttlichen Personen hinter sich lässt, differenzieren zu können. (Siehe meine Aufsätze im Meister-Eckhart-Jahrbuch, Bd. 2 und demnächst in Bd. 3.)